In diesem Teil der Experteninterviewserie wurde mit DI Dr. Roland Pomberger, Universitätsprofessor und Leiter des Lehrstuhls für Abfallverwertungstechnik und Abfallwirtschaft an der Montanuniversität Leoben, gesprochen.
War die Abfallwirtschaft der Vergangenheit von der Beherrschung von Schadstoffen geprägt, so entwickelt sich zukünftig Abfall immer mehr zu einer wichtigen Ressource. Abfall als Rohstoff verfügbar zu machen ist aber nicht nur eine technische Herausforderung sondern auch eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz. Sollen aus Abfall hergestellte Sekundärrohstoffe verstärkt genutzt werden, so müssen dafür auch die technischen Verfahren entwickelt und rechtliche Voraussetzungen verbessert werden. Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Tätigkeiten von DI Dr. Pomberger an der Montanuniversität Leoben.
Welche Themen werden die Abfallwirtschaft in den nächsten Jahren dominieren?
Ich denke, es gibt 2 Generalthemen, die unter anderem auch von der EU vorgegeben und forciert werden. Zum einen ist das Schlagwort „Recyclinggesellschaft“ zu nennen, zum anderen ist es „Ressourceneffizienz“. Auf diese beiden Themenkomplexe steuern sehr viele Aktivitäten unterschiedlichster Akteure zu. Gründe dafür sind politische und abfallwirtschaftliche Ziele wie beispielsweise die Abfallrahmenrichtlinie der EU.
Die Begriffe „Reuse“, „Recycling“ und „Recovery“ gewinnen international an Bedeutung und werden unter dem Begriff „Recyclinggesellschaft“ zusammengefasst. Auf EU-Ebene werden vermehrt Lenkungsmaßnahmen in Richtung Recycling angestrebt, dies wird in Zukunft auch auf nationale Gesetzgebungen Einfluss nehmen.
Das Thema der Energie- und Ressourceneffizienz wirkt sich direkt auf die Abfallwirtschaft aus, da vermehrt Bestrebungen erkennbar sind, in der Güterproduktion denselben Output mit möglichst wenig Input bereitzustellen.
Neben diesen beiden Generalthemen ist es von entscheidender Bedeutung, wie die angestrebten Ziele auf den Boden gebracht und in der Praxis umgesetzt werden. Es müssen dazu die richtigen Maßnahmen eruiert und umgesetzt werden, da ansonsten eine effiziente Zielerreichung nicht gewährleistet ist. Viele dieser Maßnahmen sind naturgemäß an den Einsatz finanzieller Mitteln gebunden, was dann zum Problem wird, wenn aus monetären Gründen Maßnahmen unzureichend oder gar kontraproduktiv identifiziert oder umgesetzt werden.
Durch diese Reduktion auf den Preis werden viele umweltrelevante Aspekte in der Diskussion bzw. bei Ausschreibungen oder ähnlichem ausgespart. Damit im Zusammenhang steht das Problem, dass in Österreich, unter anderem bedingt durch die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung,„zu wenig Abfall“ für die derzeit verfügbaren Entsorgungs- und Verwertungskapazitäten anfällt. Dadurch erhöht sich der wirtschaftliche Druck in der Abfallwirtschaft. Die Akteure auf dem Abfallwirtschafts-Markt versuchen ihre Kapazitäten auszuschöpfen, teilweise auf Kosten der abfallwirtschaftlichen Sinnhaftigkeit. Dieser Aspekt findet derzeit leider keinen Widerhall in der Diskussion, wirtschaftliche Aspekte überstrahlen Themen wie Ressourcen, Verwertungslösungen, Schadstoffaspekte oder Klimaschutz.
Ein längerfristiges Thema in der Abfallwirtschaft ist der sogenannte „Future Waste“. Dazu zählen all jene Produkte, die heute schon entwickelt und verkauft werden, aber erst in Zukunft zu Abfall werden. Dazu wurde an der Montanuniversität eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, die derzeit beispielsweise ein Verfahren zum Recycling von Lithium-Ionen Batterien aus der E-Mobilität entwickelt.
Wie ist die österreichische Branche in der Abfallwirtschaft aufgestellt?
Dazu gibt es eine aktuelle Studie der EU (BIPRO), in der die Abfallwirtschaft in sämtlichen EU Ländern verglichen wurde. Die Studie führt zu dem Ergebnis, dass Österreich, gemeinsam mit den Niederlanden, auf Platz Eins gereiht wurde. Dies verdeutlicht die internationale Vorreiterrolle Österreichs, unter anderem in den Bereichen Sammelquoten, der Differenzierung der Sammlung oder des Anteils des Abfalls, der einer Verwertung zugeführt wird. Selbst weit entwickelte Länder wie Deutschland haben erst vor einigen Jahren die flächendeckende Biomüllsammlung eingeführt, diese gibt es in Österreich schon seit vielen Jahren. In anderen westlichen Ländern ist eine umfassende getrennte Sammlung noch nicht Realität, von der Situation in Ost- und Südosteuropa ganz zu schweigen.
Neben dem Bereich der Abfalldienstleistung haben sich in Österreich parallel dazu auch Technologiefirmen entwickelt und sind zu Weltmarktführern aufgestiegen. Exemplarisch sind hier die Bereiche Sortierung, Abfallaufbereitung oder Shreddertechnologie zunennen in denen österreichische Firmen den internationalen Markt mitbestimmen. Die Entwicklung der Abfallwirtschaft hat also auch dazu geführt, dass sich die Technologie mitentwickelte. Innovationen in den Bereichen der Dienstleistung und der Technologie begründeten und begründen sich in dem herrschenden Wettbewerb sowie gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die Abfallwirtschaft kann in den letzten 20 Jahren als eine der innovativsten Branchen angesehen werden.
Derzeit gibt es aber einen Trend zur Rekommunalisierung. Dadurch wird möglicherweise der Wettbewerb im System geringer, was wiederum einen Rückgang der Motivation zur Innovation mit sich bringt. Deshalb plädiere ich für ein ausgewogenes Gesamtsystem zwischen kommunal organisierten und einer dem Wettbewerb unterliegendem Abfallwirtschaft.
Welche Rolle spielt ausländische Konkurrenz im Bereich der Abfallwirtschaft?
Österreich ist immer ein Nischenplayer. Die Frage ist, welche Nische man sich aussuchtund wie man diese besetzt. Einige Nischen sind durch österreichische Unternehmen sehr gut besetzt. Natürlich gibt es auch in diesem Bereich ausländische Unternehmen, die technologisch hochwertige Waren und Dienstleistungen anbieten, jedoch kann Österreich als relativ kleines Land durchaus Firmen aufweisen, die Technologieführerschaft innehaben. Wichtig für heimische Unternehmen ist ein Heimmarkt, auf dem Dinge entwickelt und erprobt werden können, da ansonsten ein internationales Bestehen schwer möglich ist.
In vielen anderen Ländern besteht massiver Aufholbedarf in der Abfallwirtschaft. Dies ist zu einem gewissen Teil dadurch begründet, dass sich ein Land Abfallwirtschaft auch leisten können muss, was nicht in allen Ländern gegeben ist. Durch fehlendes Budget wird in vielen Fällen auch die Dynamik im Umweltbereich unterbunden.
Welche Rolle spielen Forschung und Entwicklung in der Abfallwirtschaft, wer sind die Player und wo liegen die Forschungsfelder?
Da die Abfallwirtschaft eine sehr innovative Branche ist, spielen Forschung, Innovation und Entwicklung naturgemäß eine wichtige Rolle. Im Abfallwirtschaftsbereich sind vor allem die Universität für Bodenkultur (BOKU), die TU Wien und die Montanuniversität Leoben mit unterschiedlichen Schwerpunkten aktiv. Die BOKU ist im Bereich der biogenen Abfallströme führend, während die TU Wien sehr stark in den Sektoren Ressourcenmanagement und Stoffkreislauf tätig ist. Die Aktivitäten der Montanuniversität sind eher verfahrens- und verwertungsorientierter und in der Regel wirtschaftsnah angesiedelt.
An der Montanuniversität wird vor allem im Bereich der Abfallwirtschaft interdisziplinär zusammengearbeitet. Die Abfallwirtschaft beschäftigt sich im Zusammenhang mit Recycling in vielen Fällen mit der Sammlung und Vorbehandlung von Abfällen. Das „wirkliche“ Recycling passiert dann in Industriebetrieben. Deswegen ist eine thematische Überschneidung so wichtig in diesem Bereich. Ein weiteres Beispiel für die institutsübergreifende Zusammenarbeit ist das Thema „Seltene Erden“ da viele Institute der Montanuniversität in der einen oder anderen Form damit zu tun haben.
An dem von mir geleiteten Lehrstuhl gibt es die Arbeitsgruppen „Future Waste“, „Deponietechnik, Altlasten, Schlacken“, „Waste Fuel“ und „Abfallbehandlung“, die sich alle mit unterschiedlichen Aspekten der Abfallwirtschaft auseinandersetzen. Die Forschung an der Montanuniversität kann als sehr anwendungs- und problemlösungsorientiert gesehen werden.
Welche Rolle spielen rechtliche Rahmenbedingungen im Bereich der Abfallwirtschaft und welche Entwicklungen sind zu erwarten?
Gesetzliche Rahmenbedingungen geben die Voraussetzungen vor, innerhalb derer sich Technologien und Dienstleistungen entwickeln können.
Rechtliche Rahmenbedingungen, die von der EU vorgegeben werden erlauben nichtsdestotrotz noch einen gewissen Handlungsspielraum der Mitgliedsländer. So hat Österreich in den letzten Jahren beispielsweise versucht, besser als die vorgegebenen Auflagen zu agieren. Dies wurde oft kritisiert, ich sehe das aber positiv, da dadurch Innovation gefördert und die Vorreiterrolle aufgebaut werden konnte. Die Ziele der Abfallwirtschaft sollten objektiv messbar sein um Handlungen zielgerichtet einsetzen zu können. Einige Ansätze in diese Richtung werden beispielsweise durch den ÖWAV forciert. Hier ist eine Studie zur Messung der abfallwirtschaftlichen Ziele in Vorbereitung. Das historisch gewachsene AWG sollte ebenfalls einer Prüfung unterzogen werden um es zu vereinfachen und besser anwendbar zu gestalten.
Wie sehen Sie die Entwicklungen im Bereich des Landfill Mining, also der Rückgewinnung von Rohstoffen aus Abfalldeponien?
Landfill Mining ist ein Teilgebiet des breit gefassten Begriffs des Urban Mining, wo es um die Rückgewinnung von Rohstoffen aus anthropogenen Lagerstätten geht. In der Vergangenheit sind Deponien nur dann rückgebaut worden, wenn es ein Problem gab und nie unter dem Aspekt der Rohstoffrückgewinnung.
Derzeit muss Landfill Mining als nicht wirtschaftlich angesehen werden. Nichtsdestotrotz muss man sich mit diesem Thema frühzeitig auseinandersetzen um einerseits zu eruieren, wie man Landfill Mining machen muss um es zukünftig wirtschaftlich zu gestalten und anderseits um die Voraussetzungen für wirtschaftliches Landfill Mining zu identifizieren (Qualität, Menge und erzielbare Preise der rückgewinnbaren Rohstoffe etc.). Es gibt bereits ein breites Konsortium an Unternehmen, Forschungseinrichtungen und anderen Institutionen, die sich eingehend mit dieser Thematik auseinandersetzen.
Welchen Herausforderungen wird man sich an der Montanuniversität Leoben in den Bereichen Abfall/Recycling/Umwelttechnikin Zukunft stellen?
Ich denke, dass auch weiterhin das Rohstoffthema unsere Aktivitäten dominieren wird, da, trotz aller Effizienzmaßnahmen abzusehen ist, dass zukünftig mehr Rohstoffe benötigt werden. Die Montanuniversität beschäftigt sich mit diesem Themenfeld entlang der gesamten Wertschöpfungskette, angefangen bei der Rohstoffsuche über den Abbau, die Aufbereitung bis hin zu den damit verbundenen Umweltthemen. Weiters werden die Themen Energie und „Raw Materials“ an der Montanuni an Bedeutung gewinnen, entsprechende Projekte sind bereits angelaufen.
Studium Bergwesen/Deponietechnik (Dipl.-Ing. 1991) undIndustrieller Umweltschutz, Entsorgungstechnik und Recycling (Dr. 2008) , Montanuniversität Leoben
Bereichsleiter für gefährliche Abfälle der Saubermacher Dienstleistungs GmbH, Graz
Abfallrechtlicher Geschäftsführer der Saubermacher Dienstleistungs AG, Graz ; sowie mehrerer Tochterunternehmen
Prokurist der Saubermacher Dienstleistungs AG (Umsatz ca. 300 Mio. €, 4000 MitarbeiterInnen) Konzernverantwortlich für die Bereiche F&E, Stoffstrommanagement, Produktionsmanagement, Innovationsmanagement;
Seit 2012: Univ. Professor (Leiter des Lehrstuhls für Abfallverwertungstechnik und Abfallwirtschaft) Montanuniversität Leoben